LAEMMLITEXT ANDREA LÄMMLI, DIE TEXTERIN IN SOLOTHURN
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Se Red Zora unger se Sun Schirm

2/8/2018

 
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Mein erster Ferientag am Strand - endlich. Die Meeresoberfläche glitzert unter der Sonne, die Wellen beruhigen meine Seele, alle Anspannung fliegt davon.

Und dann schrillt es zum ersten Mal in mein Ohr, dieses unerträgliche Lachen. Meine Nackenhaare reagieren sofort. Das Lachen übertönt die Wellen, immer wieder. Ich suche die Urheberin der unschönen Töne, und beobachte sie unter der Krempe meines Sonnenhuts hervor. Sie läuft am Strand hin und her, peilt ihre Opfer an, redet und lacht und redet und lacht. Sie redet mit allen - auch mit denen, die keine Lust auf ein Gespräch haben. 
 
Ein Schwatz mit Liegestuhl-Nachbarn in Ferienstimmung ist eigentlich etwas Schönes. Die Sonne und die Drinks machen alle glücklich und so manches Gespräch unter dem Sonnenschirm hat schon zu einer schönen Ferienfreundschaft oder einem kleinen Flirt geführt.

Sie lässt aber kein Gespräch entstehen. Sie wartet nicht auf das kleine Lächeln, auf den ersten Blickkontakt, auf die Gelegenheit. Sie erzwingt im Minutentakt "Gespräche" und torpediert mit ihrem schrillen Lachen die ganze Ferienstimmung. Wer kann, flüchtet, sobald sie sich nähert. 
Was diese Frau tut, ist pure Belästigung. Schnell haben wir ihr einen passenden Übernamen gegeben. "Die Rote Zora kommt“, wird zum Alarmsignal und bedeutet: Sofort flüchten. Hinter die Strandbar, in die Dusche, schnell rein ins Meer oder verstecken hinter Sonnenbrille und Buch.

Aber selbst wenn sich alle potenziellen Opfer verkrümelt haben, findet die Rote Zora „Gesprächspartner“. Sie kennet keine Grenzen, auch keine sprachlichen. Sie bequasselt den indischen Verkäufer mit den bunten Tüchern ebenso wie den kenianischen Sonnenbrillenmann und den jungen Spanier an der Bar. Alle drei können nicht fliehen, der Strand ist ihr Arbeitsplatz und die Sterne des Hotels verlangen nach Contenance. Also lachen sie tapfer mit, denn immerhin kauft Zora fleissig bei ihnen ein.
 
In nur wenigen Ferientagen erfahren sämtliche Badegäste im Umkreis von 50 Metern alles über die Rote Zora. Über ihre Enkel, deren Mütter, also ihre wunderhübschen Töchter und über die beruflich erfolgreichen Schwiegersöhne. Über die letzten und die vor- und vorvorletzten Ferien, die Einrichtung des Hotelzimmers, die Sauberkeit der Böden, die verkalkte Duschbrause, die Lichtdurchlässigkeit der Vorhänge... Glücklicherweise erzählt sie auch jedem, dass ihr Mann eine Wasserratte und sie wasserscheu sei. So wird das Meer für viele am Strand der Fluchtort schlechthin. 
 
Wenn die Rote Zora einen Tag lang nicht am Strand erscheint, geniessen alle die Ruhe. Am nächsten Tag hat sie aber dann um so mehr zu erzählen: über den gestrigen Ausflug ins Landesinnere, die Schlangen, die tollen Gespräche mit Einheimischen (😂)die Bar mit dem feinsten Kaffee, die Fische im Meer und auf dem Teller. Und damit auch wirklich niemand etwas verpasst, wiederholt sie alles mehrmals, sehr laut und sehr deutlich. ALLES. 
 
Ihre Sprache wählt sie dabei ganz unabhängig von der Muttersprache des jeweiligen Gegenübers. Das italienische Ehepaar, die drei jungen Engländer und  die russische Familie... sie alle verstehen kaum, was Zora von sich gibt, das scheint ihr aber ganz egal zu sein. Sie referiert unbeirrt und pausenlos weiter,  in ihrem beängstigenden Mix aus Aargauerdialekt und Hochdeutsch Fédéral, angereichert mit englischen und italienisch klingenden Brocken. Wir deutschsprachigen Opfer sind die einzigen, die mitbekommen, was sie alles von sich gibt, was überhaupt kein Vorteil für uns ist. 
 
Als die Rote Zora an ihrem letzten Ferientag den dritten Drink bestellt, streicht sie mit ihrer Hand sinnlich durch die leuchtend rote Fransenpartie ihrer Frisur. Die hintere Hälfte (der Frisur) ist braun und kurz wie ihr Leoprint-Strandkleid. Der Barmann hinter dem Tresen lacht noch einmal wacker mit und fragt, ob sie nicht lieber einen Kaffee möchte. Ihr Kommentar: "Giv mi numä dä Drink. Hauptsach hi is not zu schtrong für mi!" Und dann lacht sie wieder dieses Lachen. Und wieder. Und wieder. 
Schöne Ferien allerseits!


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​Andrea Lämmli-Rudolf - Texterin mit eidg. Fachausweis - 4500 Solothurn
M +41 76 568 13 33
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