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Indisch für Anfänger 

14/7/2014

 
Indisch für Anfänger 
Was ziehe ich am Samstag bloss an? Das Kleiderchaos, bestehend aus an- und sofort wieder ausgezogenen, hektisch auf Stuhllehne oder Boden geworfenen Teilen ist vorprogrammiert. Genauso der Frust am nächsten Tag, beim Aufräumen der Kleiderhaufen. Besonders schwierig wird die Kleiderfrage dann, wenn der Anlass keine herkömmliche Party, sondern ein Anlass mit Motto ist. „Hollywood - be a star" lautet das Thema. Ich will nichts Abgedroschenes. Von Marilyn Monroe werden mindestens drei Exemplare anwesend sein, von Elvis ebenso – und wer möchte schon gern als Klon eine Party feiern? Eine originelle Idee muss her: ausgefallen und trotzdem so plakativ, dass ich nicht den ganzen Abend lang erklären muss, wen oder was ich darstelle.

Meine rettende Idee: Bollywood. Indische Filme sind im Trend, indische Gewänder wunderschön. Frech neben dem Thema und trotzdem passend, nicht? 


Ich begebe mich also in einen indischen Laden. Das knallbunte Schaufenster war mir schon bei meinem ersten Spaziergang durch die Bahhofspassage aufgefallen. Ich öffne die Ladentür und ...
... frage mich, ob es pietätlos sei, ein traditionelles indisches Gewand als Verkleidung zu missbrauchen. Jetzt ist es sowieso zu spät, ich stehe im Laden. Es riecht nach Kardamom. Oder ist es Kümmel? Die Verkäuferin kommt auf mich zu, wir grüssen uns und ich zeige auf das Filmposter mit einer Bollywood Schönheit: „Ich möchte so ein Kleid kaufen." Die Verkäuferin reagiert weder erstaunt noch konsterniert, aber trotzdem überraschend. 

Sie erklärt mir nämlich ganz nüchtern, dass es sich bei dem Kleid auf dem Bild um einen Sari handle, und dass ich einen solchen nicht kaufen könne. „Und warum?" „Weil Sie den nicht anziehen können". Einen Sari anzuziehen, erklärt sie, sei schwierig, die Wickeltechnik kompliziert, das müsse gelernt und geübt werden. Sie empfiehlt mir als Ersatz einen kitschigen, aber unspektakulären Zweiteiler, den ich ebenso in der Fasnachtsabteilung eines Grossisten hätte kaufen können. Ich erkläre ihr, dass es mir ganz wichtig sei, an diesem Fest traditionell indisch gekleidet zu sein und frage sie, ob sie mir nicht zeigen könne, wie man ihn anzieht, den Sari. 

Sie zieht ein rosafarbenes Bündel aus einem Regal und mir scheint, sie schüttle dabei den Kopf. Als sie das Bündel auseinanderfaltet, merke ich, dass es sich bei dem Teil um ein riesiges, rechteckiges Stück Stoff handelt. Jetzt verstehe ich, was sie meinte. Wie soll aus diesem Tuch ein figurbetontes, festliches Kleid werden?

In dem Moment betritt eine ältere Inderin den Laden. Die Frauen scheinen sich zu kennen, ein angeregtes Gespräch entsteht. Die jüngere, sie hat sich mir inzwischen als Diana vorgestellt, erklärt, gestikuliert, zeigt auf mich. Die ältere staunt, schüttelt den Kopf, antwortet. Die beiden beraten sich in ihrer melodischen Muttersprache, ich verstehe natürlich kein Wort und fühle mich etwas hilflos.

Plötzlich geht alles ganz schnell. Die beiden Frauen erklären, dass sie mir jetzt zeigen werden, wie man den Sari anzieht. Diana nimmt Mass, zieht ein enges, goldenes Oberteil vom Stapel und sobald ich dieses angezogen habe, beginnt die Prozedur:

Die beiden falten, wickeln, ziehen und stecken, jetzt schweigen sie, nur das wilde Klimpern ihrer goldenen Armreife ist zu hören. Ich fürchte, bald eine der Sicherheitsnadeln im Bauch oder in der Schulter stecken zu haben, aber die beiden wissen genau, was sie tun: Nach einigen Minuten stehe ich da, in einem wunderschönen Gewand und werde bombardiert mit Anweisungen und Erklärungen. Ich fühle mich wie eine Puppe und schwitze. Die beiden drapieren den Stoff immer wieder neu und zeigen mir diverse Varianten: Junge Frauen tragen das Teil am Bauch weiter unten, die Schulterpartie kann in die Hand genommen werden, am Po muss es eng sein. Ich schwitze und erkläre, dass ich wohl auf den Unterrock verzichten werde, im August sei es dafür zu heiss. Das hätte ich besser nicht gesagt. Die Frauen erklären mir mit einer gewissen Vehemenz, dass der Unterrock fester Bestandteil des Sari sei und dass ich auf keinen Fall ohne gehen könne.

Ich bitte darum, es nun alleine versuchen zu dürfen, mache den ersten Schwung um die Hüften und schon beginnen beide erneut, an mir und dem Stoff zu zupfen und zu referieren. Sie tun es mit soviel Hingabe, dass ich ehrlich berührt bin.

Nach der dritten Wiederholung der ganzen Wickel- und Steckprozedur zeigt mir die ältere Frau, wie die schräge Vorderpartie über der Brust effektvoll in Falten gelegt werden muss, damit die Goldbordüre richtig zur Geltung kommt. Noch währenddem sie zupft und zieht, schüttelt sie plötzlich den Kopf und meint, wie schade es sei, dass ich kaum Brüste habe, ich müsse da unbedingt mit Stopfmaterial arbeiten. Gleichzeitig greift sie mir an den Busen, gerade so, also ob sie Mass nehme und so, als ob es die natürlichste Sache der Welt sei. Ist es in diesem Moment auch. Ich fühle mich weder begrabscht noch belästigt, aber die ungewohnte Direktheit erstaunt mich. „Ich habe zuhause einen Push-up-BH", stammle ich. Die beiden scheinen erleichtert und vertrauen mir grinsend an, dass auch indische Frauen mit ihrer Oberweite mogeln. 
Danach üben wir gemeinsam ein viertes Mal und ich denke, ich könnte es jetzt alleine hinbekommen.

An der Kasse wählen wir die passenden Accessoires aus: Goldene Armreifen, eine Halskette, Ohrringe, Bindis für die Stirn, Henna Tattoos für die Hände und Strass fürs Gesicht. Ich bekomme auch jetzt alles ganz genau erklärt und erfahre nebenbei, wie alt Dianas Töchter sind, was diese an Festen anziehen und welchen Schmuck sie am liebsten tragen.

Ganz besonders schön finde ich die goldenen Ketten mit Gehänge, die in den Haaren befestigt werden und auf die Stirn hinunterhängen. Auf die muss ich leider verzichten. In meinem feinen Haar hält so etwas nicht. Dazu meint die ältere der beiden: „Schade, dass du nur so wenig Haare hast, eigentlich wärst du eine hübsche Frau."

Diana packt mir meine Schätze in eine Plastiktüte und schreibt ihre private Telefonnummer auf eine Visitenkarte. „Wenn es nicht klappt, ruf mich an. Dann komme ich ins Geschäft und helfe dir beim Anziehen." Ich müsse aber unbedingt vorher anrufen, denn am Samstag sei normalerweise nur ihr Mann im Laden.

Das ist zu viel. Diese unglaubliche Hilfsbereitschaft rührt mich und ich verdrücke eine Träne. Ich erkläre, dass ich leider keine Zeit habe, am Samstag vor dem Fest in Ihre Stadt zu fahren, denn ich wohne in einer anderen. „Kein Problem", sagt Diana und schreibt mir die Handynummer einer Cousine auf, die in meiner Stadt wohnt. „Für den Notfall", meint sie. 


Ich freue mich auf die Party diesen Samstag und bin entspannt, wie selten vor so einem Anlass. Denn auf die Frage - Was soll ich heute bloss anziehen? - habe ich die Antwort. 

Die Frage OB ich es schaffen werde, mich anzuziehen, bleibt aber noch offen.

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​Andrea Lämmli-Rudolf - Texterin mit eidg. Fachausweis - 4500 Solothurn
M +41 76 568 13 33, info@laemmlitext.ch   

Mitglied Schweizer Texterverband - www.textverband.ch ​
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